Interview mit Christopher Walken: "An mich reicht keiner ran" (2024)

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SPIEGEL ONLINE:

Mr. Walken, wie in vielen Filmen zuvor haben Sie auch in Ihrem neuen Film "Die Hochzeits-Crasher" wieder eine Tanzszene. Lassen Sie sich solche Einlagen vertraglich festschreiben - als eine Art künstlerisches Markenzeichen?

Walken: Nein, das ergibt sich meistens einfach so. Einige Regisseure ändern manchmal sogar eigens das Drehbuch, um mir eine Tanzszene zu ermöglichen, aber ich frage nie danach. Ich denke, ich habe das nun zu oft gemacht, jetzt sprechen die Leute zu viel darüber. Schon allein deshalb werde ich das in Zukunft wohl nicht mehr tun.

SPIEGEL ONLINE: Ist es wahr, dass Sie eigentlich Tänzer werden wollten?

Walken: Ich war schon als Teenager ein begeisterter Tänzer. Es war damals völlig normal für Kinder aus New Yorker Mittelklassefamilien, dass sie sich für Steptanz interessieren. Das ist heute natürlich längst nicht mehr so, ich bedauere das sehr. Ich bin in Queens aufgewachsen und war kein besonders guter Schüler. Wenn man aus solchen sehr einfachen Verhältnissen kommt, dann ist eine Berufsaussicht als Tänzer am Theater eine wirklich große Karrierechance. Aber dann kam doch alles anders.

Walken: Ich bin als zehnjähriger Junge einmal in einer TV-Show der beiden aufgetreten, allerdings hatte ich nur einen sehr kurzen Auftritt. Jerry Lewis hatte mich in einem Sketch angebrüllt, und ich bin schreiend weggelaufen. Das war es schon. Später, hinter der Bühne, haben mir die beiden auf die Schulter geklopft und gesagt: "Du hast eine große Klappe, du wirst es weit bringen im Showgeschäft." Das war natürlich ein Spaß, aber auf mich hatte das schon eine Wirkung. Ich wollte auch mal so berühmt sein wie Lewis und Martin, deshalb habe ich mich anschließend für jedes Schulschauspiel beworben. Zum Glück gibt es aus diesen Tagen keine Fernsehaufzeichnungen, denn ich war teilweise wirklich schlecht auf der Bühne. Ein richtig lausiger Schauspieler war ich in meinen Anfangsjahren.

SPIEGEL ONLINE: Das klingt angesichts Ihrer Karriere ein bisschen kokett.

Walken: Nein, ganz ehrlich. Sehen Sie, damals durfte man noch reifen als Schauspieler und auch mal Fehler machen. Das ist heute doch gar nicht mehr möglich, es ist alles viel schnelllebiger geworden in diesen Tagen. Die Medienwelt ist gewachsen, jeder Fehltritt wird sofort einem Millionenpublikum am Fernseher präsentiert. Und wer nicht funktioniert, wird einfach ausgetauscht. Die Konkurrenz ist riesig, ganz anderes als zu meiner Zeit. Allerdings gibt es heute auch mehr junge Talente als damals. Ich rate den Nachwuchsschauspielern immer, am Theater anzufangen, weil man dort nicht so präsent ist wie im Fernsehen oder beim Film. Doch leider gieren die Jungen zu früh nach Geld und Ruhm, anstatt langsam in ihrem Beruf zu wachsen.

SPIEGEL ONLINE: Wer sind denn die Christopher Walkens der neuen Generation?

Walken: Die gibt es nicht, es haben schon viele versucht, mich nachzumachen. Aber es kommt keiner wirklich ran.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben in annähernd 100 Filmen mitgewirkt, in vielen haben Sie den Bösewicht und Psychopathen gegeben. Ist das Ihre Paraderolle?

Walken: Für die meisten Filmemacher schon, deshalb wollen Sie mich wohl so oft für diese Rolle engagieren. Mir ist es egal, ob ich einen Bösewicht oder den amerikanischen Präsidenten spiele. Hauptsache ich spiele überhaupt.

SPIEGEL ONLINE: Heißt das, Sie nehmen so ziemlich jede Rolle an?

Walken: Ja, ich bin nicht besonders wählerisch. Auch wenn diese Ansicht meine Agenten oft fast zum Wahnsinn getrieben hat. Viele Leute meinten nämlich, ich hätte es als Oscar-Preisträger nicht nötig, kleine Rollen in kleinen Filmen anzunehmen. Ich arbeite aber gerne mit jungen Regisseuren und Kollegen, warum sollte ich mich selbst blockieren? Ich habe im Laufe meiner Karriere in etlichen Filmen mitgespielt, die nie erschienen sind. Manche habe ich selbst nie gesehen, weil das Geld ausging und das Rohmaterial irgendwo vergammelte. Aber was soll's, ich habe immer das Beste gegeben, das war mir stets wichtig.

SPIEGEL ONLINE: Woher stammt diese Prinzipientreue?

Walken: Die hat mir mein Vater eingetrimmt, er sagte immer: "Egal, was du tust in deinem Leben, tue es immer mit Leidenschaft oder lass' ganz die Finger davon." Das ist wohl eine deutsche Tugend, mein Vater stammt nämlich aus dem Ruhrpott, aus Essen. Er war Bäcker, einer der am härtesten arbeitenden Menschen, die ich jemals kannte. Wenn ich im Laden ausgeholfen habe, hat er mir immer die Haare nach hinten gekämmt. Diese Frisur wurde später mein Markenzeichen. Allerdings war ich damals noch ein richtig gutaussehnder junger Mann, viel hübscher als heute.

SPIEGEL ONLINE: Wurmt es Sie nach mehr als 40 Jahren im Geschäft noch, wenn ein Film mal floppt?

Walken: Und wie, aber es gehört dazu. Jeder bekannte Schauspieler, der seit Jahrzehnten tätig ist, hatte zahlreiche Flops in seiner Karriere zu schlucken. Das kratzt mal kurz am eigenen Ego, aber dann konzentriert man sich wieder auf die nächsten Projekte. Wissen Sie, ich bin sehr stolz darauf, dass ich noch immer arbeiten darf nach all diesen Jahren. Es ist sehr schwer, sich so lange im Geschäft zu halten. Das heißt wohl, dass ich einiges richtig gemacht habe in meiner Karriere. Unter dieser Prämisse kann ich Niederlagen gut verkraften.

SPIEGEL ONLINE: Sie sagten einmal: "Filmemachen ist mein Leben." Haben Sie keine anderen Interessen?

Walken: Ich habe weder Kinder noch Hobbys, die mich ausfüllen. Filme zu drehen ersetzt mir beides. Ich bin recht konservativ, seit 36 Jahren mit der gleichen Frau verheiratet und lebe mein Leben jeden Tag nach den gleichen strikten Mustern. Wenn ich mal nicht drehe, wird mir schnell langweilig.

SPIEGEL ONLINE: Sie sind jetzt 62 Jahre alt, haben Sie nicht manchmal Lust, in den Ruhestand zu gehen?

Walken: Nein, da ticke ich ganz anders als viele meiner amerikanischen Kollegen, die sich tatsächlich zur Ruhe setzen. Ganz im Gegensatz zu den europäischen Schauspielern, die arbeiten, bis sie tot von der Bühne kippen, das habe ich mir zumindest sagen lassen. Vor allem in England. So einen Tod plane ich für mich auch.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es bis dahin noch offene Ziele für Ihre Karriere?

Walken: Sicher, ich würde gerne mal einen Film mit Martin Scorsese drehen, aber der hat sich ja offenbar auf Leonardo DiCaprio eingeschossen. Aber im Ernst: Scorsese ist ein sehr interessanter Filmemacher, wir sind im selben Jahr geboren und stammen beide aus Queens. Ich denke, wir haben sehr ähnliche Denkweisen, was die Arbeit betrifft. Ich hoffe, er wird mich berücksichtigen in einem seiner nächsten Projekte.

SPIEGEL ONLINE: Bereiten Sie sich auf Ihre Rollen eigentlich mit besonderen Ritualen vor?

Walken: Nein, ehrlich gesagt bereite ich mich meistens gar nicht vor. Ich treffe mich auch nicht vorab mit Regisseuren oder Kollegen. Die sollen mir das Drehbuch schicken, ich lerne meine Zeilen und spiele sie dann vor der Kamera. So habe ich es gelernt, ich bin auch heute noch kein großer Freund von zuviel Schnickschnack am Set. Als Schauspieler muss man in der Lage sein, sich intuitiv in seine Rolle hinein versetzen zu können. Wenn ich das nicht kann, darf ich die Rolle eben nicht annehmen. Fertig.

SPIEGEL ONLINE: Sind Sie jemals an Ihre künstlerischen Grenzen gestoßen?

Walken: Einmal ganz besonders, bei Paul Schraders Film "Comfort of Strangers", den wir 1989 in Venedig gedreht haben. Die Rolle des durchgeknallten Robert war wirklich ein harter Brocken für mich. Ich kann normalerweise nach Drehschluss sehr schnell abschalten und lasse die Rollen hinter mir. Bei dieser hatte ich jedoch Albträume in der Nacht. Abgesehen davon fühle ich mich sehr unwohl, wenn ich Waffen in der Hand halten muss, mit Pferden arbeite oder in tropischen Dschungelgebieten drehe. Neuerdings fühle ich mich auch in Großstädten nicht mehr sonderlich wohl, der Trubel wird mir schnell zuviel. Vielleicht hat meine Frau ja doch Recht, wenn sie sagt, dass ich langsam zu alt werde für das Filmgeschäft.

Das Interview führte Andreas Renner

Interview mit Christopher Walken: "An mich reicht keiner ran" (2024)
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Author: Eusebia Nader

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