Julieta - Kritik | Film 2016 | Moviebreak.de (2024)

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Kritik

Irgendwo in Madrid ist Julieta (Emma Suárez) am Kistenpacken: Nicht lange, und sie wird gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Lorenzo (Darío Grandinetti, »Wild Tales«) ,die Stadt verlassen, um einen ruhigen Lebensabend in Portugal zu verbringen. Doch das Schicksal will es anders. Auf der Straße stößt Julieta mit Beatriz (Michelle Jenner) zusammen, einer Jugendfreundin ihrer Tochter Antía. Antía, mit der Julieta seit zwölf Jahren keinerlei Kontakt mehr hat. Völlig aus der Bahn geworfen von der unerwarteten Begegnung sagt Julieta den Umzug ohne Erklärungen ab, packt die Kisten wieder ein und flüchtet statt nach Portugal in jenes heruntergekommene Wohnhaus, in dem sie zuletzt mit Antía lebte. Es ist für Julieta an der Zeit, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten. Sie tut es in einem langen, ehrlichen Brief an die verlorene Tochter, begibt sich auf einen Weg, auf dem sie der Zuschauer begleitet.

Es ist eine weitgehend geradlinige erzählte Geschichte ohne Schnörkel und große Überraschungen, die Pedro AlmodóvarVolver«) dennoch so in akkurate und intensive Bilder zu setzen vermag, dass sich ein gewisser Sog entfaltet. Da ist die junge Julieta (Adriana Ugarte), die während einer nächtlichen Zugfahrt vor einem scheinbar zudringlichen Mann in ihrem Abteil flieht und im Speisewagen den Fischer Xoan (Daniel Grao, »L'auberge espagnole«) trifft – der Beginn einer leidenschaftlichen, wie von Urgewalten vorangetriebenen Liebesgeschichte, die auf tragische Weise enden muss, während Antía sich auf Sommerurlaub in einem Zeltlager befindet. Und da ist die gemeinsame Zeit, die Mutter und Tochter schließlich in Madrid verbringen, Antías innige Freundschaft zu Beatriz – und einige Jahre später Antías wortlose Flucht, die Julieta völlig unvorbereitet trifft. Alle Versuche, die Tochter ausfindig zu machen, bleiben erfolglos. Bis eben die erwachsene Beatriz zufällig vor Julieta steht.

»Silencio«, also »Stille« oder »Schweigen«, sollte Almodóvars zwanzigster Film eigentlich heißen, und das wäre ein sehr sprechender Titel für das Drama gewesen: Schweigen ist der rote Faden, der die gesamte Handlung durchzieht. Einerseits Julietas Schweigen, ihre wiederholte Unfähigkeit, im rechten Moment Worte zu finden, was immer wieder zur Katastrophe führt und ihr mitunter wie ein wahrer Fluch erscheinen muss. Andererseits aber auch Antías Schweigen, das Julieta über Jahre hinweg als die Strafe für ihr eigenes erfährt und schließlich auch so begreift. Neben diesem Leitmotiv setzt Almodóvar auf bewusst klare Symbolsprache, die zuweilen platt wirken könnte, letztendlich aber durch ihre Schlichtheit immer kraftvoll bleibt. Es ist kein Zufall, dass Julieta – in jungen Jahren Lehrerin für Altgriechisch – ihren Schülern von den vielen Gesichtern des Meers berichtet oder von den Irrfahrten des Odysseus erzählt. Indem Almodóvar diese Bezüge herstellt, verleiht er der Handlung stellenweise selbst die Wucht und Unabänderlichkeit einer griechischen Tragödie: Dass man die Katastrophe schon vor ihrem Eintreffen als unausweichlich erahnt, fühlt sich hier nicht als Vorhersehbarkeit an, sondern dosiert den Schmerz.

Bei all dem Fokus auf starke Bilder und bewusst komponierte dramaturgische Strukturen läuft »Julieta« mitunter Gefahr, dass zu viel Distanz zum Zuschauer entsteht, so »erzählt« wirkt der Film, obwohl die Schauspieler durchweg eine starke Leistung abliefern. Sowohl Emma Suárez als auch Adriana Ugarte in den Verkörperungen der jungen und gereiften Julieta spielen mit unaufdringlicher Überzeugungskraft. Stark ist auch Rossy de Palma Zerrissene Umarmungen«) als Xoans eigenwillige Haushälterin Marian. Zumindest den Schmerz des Schweigens kann »Julieta« aber immer wieder glaubhaft machen und lässt den Zuschauer nie das Interesse an der Handlung und besonders dem Schicksal von Mutter und Tochter verlieren.

Im Vergleich zu früheren Filmen Almodóvars zeigt sich »Julieta« als beinahe zahm, was Ausgefallenheit der Figuren oder Verschachtelung der Erzählstränge betrifft. Erzähltechnisch jedoch läuft hier alles auf hohem Niveau ab, greift ineinander und bleibt selbst in den kleinen Absurditäten immer plausibel. Wie sich Stück für Stück enthüllt, dass auch im Leben von Julieta und Antía längst nicht alles ist, wie es auf den ersten Blick scheint, ist eine klug getaktete und souverän umgesetzte Inszenierung. Ähnlich wie in Julio Medems jüngstem Streifen »Ma Ma« steht auch hier die Muttergestalt im Mittelpunkt, doch während es bei Medem auf eine bewusst übersteigerte Lobpreisung der Mutter hinausläuft – und plottechnisch bisweilen almodóvaresker wirkt als Almodóvars Film –, stellt Pedro Almodóvar eine tiefgründige und akribisch porträtierte Mutter-Tochter-Beziehung in den Fokus, in der es genug Schattierungen gibt, um beide Seiten verstehen zu können.

Das Ende von »Julieta« lässt einen etwas unentschlossen zurück, wirkt es doch einerseits etwas zu einfach und nahezu platt, andererseits aber auch konsequent, was die Symbolsprache des restlichen Films betrifft. Ein wenig krankt dieser auch daran, dass auch die übergreifenden Motive – die Suche nach Antía und der Umgang mit lang verdrängter Schuld – keinen ganz durchgängigen Spannungsbogen zu schaffen vermögen. Sehenswert bleibt »Julieta« dennoch, und das längst nicht nur für Almodóvar-Fans.

Fazit

Optisch und erzählerisch intensives Drama, dessen Darsteller die dramaturgisch sauber inszenierte Handlung vollauf zu tragen verstehen. Zwar ist »Julieta« nicht unbedingt Almodóvars stärkster Film und schöpft nicht an allen Stellen sein Potenzial völlig aus, doch die Abgründe zwischen einer Mutter und ihrer Tochter, zwischen Schuld und Schweigen, dürften dennoch für einen unterhaltsamen Kinobesuch sorgen.

Kritik: Sabrina Železný

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