Oscar-Gewinner Christoph Waltz im Porträt (2024)

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Wieder mal ist er der Erste. Ein Omen: Auch in 2010 wurde seine Kategorie ganz zu Anfang verkündet - und er gewann. Trotzdem muss er noch zittern, fast 20 Minuten lang, während sich Oscar-Conferencier Seth MacFarlane durch seine schier endlose Eröffnungsnummer quält.

Erst dann, nach allerlei Singen, Tanzen und müden Witzen, reißt Octavia Spencer, Oscar-Gewinnerin vom vorigen Jahr, den Umschlag auf und ruft seinen Namen: "Christoph Waltz!"

Kurz darauf steht der Österreicher hinter der Bühne des Dolby Theatre in Hollywood, den Oscar, seinen zweiten, locker im Arm. Er wirkt immer noch wie benommen. Wie er sich fühle? "Raten Sie mal", gibt er zurück, nach Worten suchend. "Es ist, glaube ich, fünf Minuten her, dass ich das bekommen habe. Oder sieben."

Der obligatorische Gang vor die Reporter hinter der Bühne fällt ihm immer noch schwer, auch beim zweiten Mal. Ungeduldig wippt Waltz auf den Schuhen, blinzelt höflich in diese und jene Richtung, während im Hintergrund das Oscar-Orchester fidelt. Er wirkt kleiner, schmächtiger als sonst. "Hello, Mr. Waltz", flötet ihn jemand auf Englisch an. "Es wäre schön, wenn Sie vielleicht mal auf Deutsch antworten könnten."

Waltz lächelt. Es ist jenes kaltblütige Lächeln, mit dem er auch Dr. King Schultz veredelt hat, jenen charmant-mordenden Kopfgeldjäger aus "Django Unchained", der ihm nun erneut den höchsten Filmpreis beschert hat. "Nein", sagt er sanft. "Ich antworte für jeden auf Englisch."

Oscar-Gewinner Christoph Waltz im Porträt (1)

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Oscars 2013: Mehr Biss bitte!

Foto: MIKE BLAKE/ REUTERS

Unbeholfener Charme

Damit ist es endgültig: Christoph Waltz, Sohn eines Deutschen und einer Österreicherin, gehört zu Hollywood. Ein langer Weg: In Wien geboren und studiert, Karrierestart in Zürich, Theater in Großbritannien, zahllose TV-Nebenrollen in Deutschland, darunter auch ein "Tatort"-Kommissar, fast 26 Jahre ist das her. "Wunschlos tot" hieß die Folge. Jetzt scheint er wunschlos glücklich.

Denn längst schlägt sein Herz in Hollywood - und nun umarmt ihn Hollywood kräftig zurück.

Er kann's dennoch immer noch nicht fassen. "Ich stand auf einer Liste mit den großartigsten Schauspielern, die es gibt, mit Robert De Niro, mit Alan Arkin, mit Tommy Lee Jones, mit Philip Seymour Hoffman", sagt er. "Was glauben Sie, wie man sich fühlt, wenn auf einmal sein Name in diesem Zusammenhang genannt wird? Ich kann es Ihnen nicht sagen."

In der überkandidelten Song-and-Dance-Show der Oscar-Verleihung wirkt Waltz' unbeholfener Charme erfreulich deplatziert. Anders als andere, die in dieser Scharade aufgehen, bleibt er ewiger Laie. Oder er tut zumindest so. Das beginnt schon auf dem roten Teppich. In Horden prozessieren die Stars an den Kameras vorbei, die Damen mit langen Schleppen, die Herren im Smoking. Waltz trifft relativ früh ein, vor der "Rush Hour" kurz vor Beginn der Show, und versucht erst - seine Ehefrau Judith Holste an der Hand - sich unbelästigt durchzumogeln.

Doch Chris Connelly, der Ansager am "Carpet", fängt ihn gleich ab. Wie geht's, Mr. Waltz? "Ein bisschen besser als beim letzten Mal", murmelt der. "Ich weiß, wo ich rein- und rausgehe."

"Keine Rede vorbereitet"

Das letzte Mal war wie ein Traum. "Das war so überwältigend, dass ich die Hälfte gar nicht mitbekommen habe", hat er sich zwei Tage zuvor im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE erinnert. "Ich war total eingeschüchtert. Jetzt ist eigentlich die Freude viel größer."

Vor drei Jahren scheute Waltz die Presse noch. Heute ist auch er darin schon routinierter, ein Rädchen in der Hollywood-Maschinerie, "im Korsett", wie er es nennt, von Publizisten und Agenten - und immer noch galant. "Wir kennen uns doch", begrüßte er einen im Büro seiner PR-Managerin in Beverly Hills, in - gespielter? - Erinnerung an eine frühere Zufallsbegegnung.

Die Scheu ist nicht ganz gewichen. Am Sonntag auf dem roten Teppich, nachdem ihn Ansager Connelly in den Star-Stau entlassen hat, rauscht Waltz erst wie mit Scheuklappen ins Theater, unter dem enormen Goldvorhang hindurch. Doch seine Aufpasser fangen ihn wieder ein und lassen ihn erneut durchs Spalier wandern - diesmal gemesseneren Schrittes.

Nicht mal eine Dankesrede hat Waltz parat. "Ich hatte keine Rede vorbereitet", gesteht er hinterher. "Aber ich hatte mir etwas überlegt." Und zwar dankt er, bevor er sich artig verbeugt, zuallererst seinen Mitbewerbern - und dann seinem Alter Ego, Dr. King Schultz. Und damit eigentlich dessen Schöpfer, dem "Django"-Regisseur Quentin Tarantino, mit dem Waltz längst eine enge Freundschaft verbindet.

"Wir waren auf einer Heldenreise", sagt er. "Der Held hier ist Quentin. Und du erklimmst den Berg, weil du keine Angst davor hast. Du erlegst den Drachen, weil du keine Angst davor hast, und marschierst durchs Feuer, weil es das wert ist." Wem diese Worte bekannt vorkommen: Sie stammen von Dr. Schultz, der in "Django" die Siegfried-Sage zitiert. "Sorry", grinst Waltz. "Ich konnte nicht widerstehen."

Das Enfant Terrible und der Charmeur

Es sind aber vor allem auch Tarantinos Worte. Ihnen verdankt Waltz seinen Erfolg - schon in "Inglourious Basterds", mit dem er 2010 seinen ersten Oscar gewann. Und nun in "Django": "Quentin schreibt Poesie, und ich mag Poesie." Tarantino gibt das Kompliment zurück. "Boy, oh boy", keucht er, als er mit seinem eigenen Drehbuch-Oscar hinter der Bühne aufkreuzt, Krawatte schief, Haar zerzaust. "Ich will den Schauspielern für das danken, was sie mit meinem Skript gemacht haben." Nur deretwegen, sagt er, "stehe ich jetzt hier".

Waltz ist der einzige deutschsprachige Schauspieler seiner Generation, der so in Hollywood Fuß gefasst hat. "Das ist nicht immer so einfach", sagt er über sein Leben zwischen den Welten. "Aber ich finde es immer einfacher, hierherzukommen als dorthin." Dorthin: Das ist Deutschland, Österreich, die Schweiz. Deren Kulturverständnis wird ihm immer fremder, diese künstliche Trennung zwischen "E und U", die "Missachtung und Herablassung", wie er sagt, über Hollywoods bunten Kessel aus Kunst, Kommerz und Kitsch.

Und keiner symbolisiert diese Mischung besser als Quentin Tarantino. Dass der nun ausgerechnet in dem Ex-Burgschauspieler seine Muse gefunden hat, ist die große Ironie.

Gemeinsam ziehen sie anschließend durch die Nacht, vom Governors Ball bis zur "Vanity Fair"-Party, das Enfant Terrible aus Tennessee und der Charmeur aus Wien. Anders als sein Landsmann Michael Haneke, der seinen Oscar für "Liebe" über einem Teller Gulasch in der Residenz der österreichischen Generalkonsulin feiert.

Als Haneke zu Bett geht, ist Waltz noch lange unterwegs: "Ich bin bis mindestens zwei Uhr ausgebucht."

Mehr noch: Waltz macht die Nacht durch und sitzt am Montagmorgen schon gleich wieder auf der Bühne des Dolby Theatres, als Gast der TV-Talkshow "Live With Kelly and Michael". Wo er denn seinen zweiten Oscar hinstellen werde, will Moderatorin Kelly Ripa wissen. Waltz grinst und sagt nur: "Neben den anderen."

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Author: Rev. Porsche Oberbrunner

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